Mehr Vielfalt statt mehr Gentechnik

Innerhalb von nicht einmal vier Wochen haben über 69.000 Bürger*innen an die EU-Kommission geschrieben. Sie wollen keine Gentechnik auf Äckern und Tellern.

Die Europäische Kommission plant, das Gentechnikrecht zu lockern. Im April 2020 legte die Kommission einen Bericht vor, in dem sie deutlich macht, dass sie die Gesetzgebung – im Sinne der Agrarindustrie – deregulieren will, um „Innovation im Agrar- und Lebensmittelsystem zu ermöglichen“. Dagegen regt sich Widerstand, denn durch eine Deregulierung würden neue Gentechnik-Pflanzen intransparent auf europäische Äcker und auf unsere Teller gelangen – und wären nicht mehr rückholbar. Das widerspricht dem europäischen Vorsorgeprinzip. Die EU-Bürger*innen hatten die Möglichkeit, sich im Rahmen eines öffentlichen Konsultationsprozesses zu diesen Plänen zu äußern.

Damit die Bürger*innen unkompliziert ihre Meinung äußern konnten, installierten Umweltorganisationen aus ganz Europa, darunter die Aurelia Stiftung, ein Online-Kontaktformular auf ihren Webseiten, das den umständlichen Konsultations- und Registrierungsprozess in Übereinstimmung mit den Regeln der Kommission vereinfacht. Ein ähnliches Formular war bereits im September letzten Jahres erfolgreich vom Aktionsbündnis #Together4Forests bei einer EU-Konsultation zum Schutz der Wälder eingesetzt worden. Die Idee, Bürger*innen so besser in den demokratischen Konsultationsprozess einzubinden, wurde bei dieser Aktion von der EU-Kommission begrüßt.

Innerhalb von knapp vier Wochen wurden 69.331 Einsprüche über das Kontaktformular eingereicht, rund 1.500 Rückmeldungen über die Webseite der EU-Kommission. Ein gutes Zeichen für die Demokratie! Zum Vergleich: Die durchschnittliche Teilnehmerzahl bei Konsultationen lag 2017 und 2018 bei rund 2.000 Teilnehmer*innen. Auch die Aurelia Stiftung hat ihren umfangreichen Widerspruch gegen die EU-Pläne bei der Kommission eingereicht.

 

Wissenschaftler*innen warnen: Risiken der Genschere nicht klein reden

Die rege Beteiligung am Konsultationsprozess spiegelt die Sorge der Bürger*innen wider, dass gentechnisch manipulierte Pflanzen künftig ohne Gentechnik-Risikoprüfung in großer Zahl in die Umwelt entlassen und ohne Kennzeichnung auf unseren Tellern landen könnten. Die Sorge, dass Agro-Gentechnik ohne Risikoprüfung zu irreparablen Schäden am Ökosystem führen könnte, ist berechtigt. Erst vor kurzem haben Wissenschaftler*innen von Umweltbehörden aus Deutschland, Italien, Österreich, Polen und der Schweiz dafür plädiert, Pflanzen aus neuer Gentechnik ausnahmslos einer Risikoprüfung zu unterziehen. Neue Verfahren wie CRISPR-Cas würden das Erbgut insgesamt in viel größerem Umfang für Veränderungen verfügbar machen, als dies bei konventioneller Zucht möglich sei.

Der vehemente Einspruch der Bürger*innen gegen eine Deregulierung der Gentechnikgesetze hat die Agrogentechnik-Lobby nervös gemacht. In den sozialen Medien wurde die Aurelia Stiftung des »plumpen Lobbyismus« bezichtigt. Bürger*innen, die sich über das Kontaktformular an der Konsultation beteiligt hatten, wurden als „Demokratie sabotierende Bots“ diffamiert.  Das industrienahe Agrarpresseportal „TopAgrar“ griff diese Verschwörungserzählung auf und titelte: „Spam-Flut: Gentechnik-Gegner verstopfen EU-Umfrage mit Textbausteinen“. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die Konsultation der EU-Kommission wurde zu keinem Zeitpunkt »verstopft« oder behindert. Sie wurde vielmehr durch die einfachere Beteiligungsmöglichkeit zu einem großen Erfolg für die demokratische Mitbestimmung in Europa.

Wie geht es jetzt weiter?

Die EU-Kommission wird das Feedback der Bürger*innen nun auswerten. Für 2022 ist die nächste öffentliche Konsultationsrunde geplant. Die Abstimmung im Europäischen Rat und im EU-Parlament ist für das zweite Quartal 2023 geplant. So lange wird die Aurelia Stiftung weiter dafür kämpfen, dass Bienen und Umwelt frei von Gentechnik bleiben und dass die Menschen frei entscheiden können, ob sie Gentechnik auf ihrem Teller wollen oder nicht.

Dies muss auch das Ziel der neuen Bundesregierung sein. Olaf Scholz und Annalena Baerbock haben sich auf unsere schriftlichen Anfragen hin bereits im Juni dafür ausgesprochen, Gentechnik auch künftig streng nach dem Vorsorgeprinzip zu regulieren. Und sie sind damit nicht allein: 95 Prozent der Menschen wollen, dass mögliche Auswirkungen auf die Natur ausnahmslos immer untersucht werden müssen, wenn Pflanzen mit neuen Verfahren gentechnisch verändert wurden. Nur durch die klare Pflicht zur Kennzeichnung neuer Gentechnikverfahren als Gentechnik haben die Bürger*innen zudem die Möglichkeit, über die Art der Lebensmittelerzeugung durch ihre Kaufentscheidung mitzubestimmen und die Wahlfreiheit, sich auch zukünftig gentechnikfrei zu ernähren.

Am 22. Januar 2022 wird die Aurelia Stiftung auf der »Wir haben es satt!«-Demo in Berlin wieder einen gemeinsamen Block für Imker*innen und Bienenschützer*innen organisieren. Dort werden wir gemeinsam fordern: Bienen und Äcker gentechnikfrei!

Auf dieser Website können Sie auch unsere Petition „Schützt die Biene vor Gentechnik!“ unterschreiben.

Von Bernd Rodekohr, Leitung der Kampagne „Schützt die Biene vor Gentechnik“ der Aurelia Stiftung. Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin der Aurelia Stiftung, Winter 2021.

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